Tagesdosis 28.8.2019 – Die Mauer des Schweigens
Deutsche Medien berichten nicht über den „Abbruch“ der Ermittlungen im österreichischen BND-Skandal.
Ein Kommentar von Thomas Röper.
Wie
gleichgeschaltet die deutschen Mainstream-Medien mittlerweile sind,
zeigt die (Nicht-) Berichterstattung über einen Geheimdienstskandal in
Österreich. Der Autor wartete etwa zehn Tage, ob in Deutschland darüber
berichtet wird. Da die „Qualitätsmedien“ dies nicht getan haben,
unternimmt er dies nun selbst. Dass die Geheimdienste im Westen komplett
unkontrolliert und im rechtsfreien Raum arbeiten, gilt als
Verschwörungstheorie, obwohl man früher lapidar „vom Staat im Staate“
sprach. Aber es gibt genug Beispiele, die zeigen, dass
Geheimdienstskandale nie aufgedeckt werden, dass westliche Geheimdienste
auch im eigenen Land Verbrechen begehen, sogar Menschen ermorden und
Terroranschläge durchführen, und dass sie all das ungestraft tun können.
Wenn
eine solche Aktion doch bekannt wird, berichtet die Presse entweder gar
nicht oder nur sehr kurz und dann verschwinden die Skandale hinter
einer Mauer des Schweigens. Die „Qualitätsmedien“ scheinen solche Dinge
nicht aufklären zu wollen, sondern tun ihr Bestes, damit die Menschen
davon nichts erfahren. Und wenn es unvermeidbar ist, darüber zu
berichten, dann sorgen sie anschließend dafür, dass die Menschen es
schnell wieder vergessen.
Bevor ich
auf die aktuelle Meldung aus Österreich komme, hier eine kleine Auswahl
von Beispielen und Belegen für meine These — damit auch ein Leser, für
den all das völlig neu ist, meine Argumentation verstehen kann.
Beispiel 1: Gladio
Für
alle, die davon noch nie gehört haben: Gladio ist der Name für direkt
nach dem Zweiten Weltkrieg von der CIA gegründete und gesteuerte,
illegale Untergrundarmeen in den NATO-Ländern. Ursprünglich sollten sie
im Falle eines Krieges hinter den sowjetischen Linien als Partisanen
tätig werden, aber sie wurden auch auf andere Weise eingesetzt, als es
nicht zu dem befürchteten Krieg mit den Sowjets kam. Die Geschichte kam
heraus, als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Italien
Skandale vor Gericht kamen und ein ehemaliger italienischer
Ministerpräsident alles einräumen musste.
Die
schlimmsten Terroranschläge in Italiens Geschichte, wie zum Beispiel
der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna vom August 1980 mit 85
Toten, waren von dieser geheimdienstgeführten Organisation verübt
worden. Zuvor hatte man die Schuld auf die kommunistischen Roten
Brigaden geschoben, was sich dann jedoch als unwahr herausstellte.
Das
führte zu Skandalen in ganz Westeuropa und sogar das EU-Parlament hatte
in einer Resolution Aufklärung gefordert — die natürlich nie stattfand.
In Belgien hatte der damalige Verteidigungsminister seine Generäle
entrüstet gefragt, ob all das wahr wäre, ob es so etwas auch in Belgien
gäbe und warum er davon nichts wisse. Die Antwort der Generalität war
bestechend: „Ihr Verteidigungsminister wechselt ja so oft und das war zu geheim, um es Euch zu erzählen.“
In
Deutschland war damals, im Jahre 1991, gerade Wahlkampf und die SPD
unter Kanzlerkandidat Björn Engholm wollte das Thema in den Wahlkampf
bringen. Das tat sie dann doch nicht, nachdem die CDU lapidar mitgeteilt
hatte, dass es ja auch schon unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt
all das gegeben hätte. Das Thema würde also beide großen Parteien
beschädigen.
Die Medien hatten es
einfach, das Thema „geheim“ zu halten: Damals fand die Wende statt, die
Sowjetunion brach zusammen, Deutschland feierte die Wiedervereinigung
und so weiter. Im medialen Lärm ging der Skandal um Gladio still und
heimlich unter. Wer diese Geschichte nicht kennt und Hintergründe und
Quellen erfahren möchte, dem empfehle ich unter der Rubrik
„Dokus/Vorträge“ auf meiner Seite Anti-Spiegel (1) die Videos über das Thema „Terrorismus und Gladio“.
Ich habe dort sowohl eine ARTE-Reportage — ja, die gab es tatsächlich–
als auch ein Interview und einen sehr interessanten Vortrag zu diesem
Thema verlinkt.
Beispiel 2: Das „Celler Loch“
Auch
hier wieder für alle, die davon noch nie gehört haben, kurz die
Ereignisse: 1978 hat der Verfassungsschutz mit einer Autobombe ein Loch
in die Wand eines Gefängnisses in Celle gesprengt und die Schuld der RAF
angehängt. Offiziell war es ein weiterer Terroranschlag der RAF. Im
Jahr 1986 kam aber heraus, dass die RAF damit nichts zu tun hatte,
sondern dass es der Verfassungsschutz war. Mitwisser beziehungsweise
Mittäter waren die GSG9, die niedersächsische Landesregierung unter
Ministerpräsident Ernst Albrecht — übrigens der Vater von Ursula von der
Leyen —, die Gefängnisleitung und eben der Verfassungsschutz, der den
Terroranschlag durch V-Leute durchführen ließ (1).
Was
waren die Folgen? Es gab einen Untersuchungsausschuss, der natürlich
keine Ergebnisse lieferte und niemand ist vor Gericht gestellt worden
oder auch nur zurückgetreten. Es gab keine Folgen.
Aktuelle Beispiele aus Deutschland
Der
Fall Anis Amri und auch der NSU-Skandal weisen viele ungeklärte Fragen
auf, die darauf hindeuten, dass dort die Geheimdienste, also vor allem
der Verfassungsschutz, weit mehr wissen, als sie sagen. Vielleicht gibt
es auch eine Beteiligung des Verfassungsschutzes, wie seinerzeit beim
Celler Loch — das kann man bei all der Geheimniskrämerei nicht
ausschließen. Das ist ebenfalls keine Verschwörungstheorie — im Fall
Anis Amri kam letztes Jahr ans Licht, dass der Verfassungsschutz hier
aktiv war, nur hat die Presse das nicht aufgegriffen und auch nicht
nachgebohrt. Inzwischen ist sogar bekannt geworden, dass sogar das FBI
Amri überwacht hat. Da hat ein Mann in aller Seelenruhe einen
Terroranschlag in Berlin durchgeführt, während er mindestens vom
Verfassungsschutz und vom FBI überwacht wurde.
Ein aktuelles Beispiel aus Spanien
Spanien
wird derzeit von einem massiven Geheimdienstskandal erschüttert. Wie
sich herausstellte, war der Terrorist, der vor einem Jahr im August 2018
in Barcelona mit einem Lieferwagen in eine Fußgängerzone gefahren ist
und dabei 14 Menschen getötet hat, ein V-Mann des spanischen
Geheimdienstes. Darüber wurde in Deutschland nichts gemeldet. Die Kollegen vom „3. Jahrtausend“ haben den Fall mit allen Quellen aufgearbeitet
und am 2. August 2019 darüber ausführlich berichtet (3). Frappierend
bei dem spanischen Fall sind vor allem die vielen Parallelen zum Fall
Amri in Berlin, bei denen sich jeder selbst fragen muss, ob das alles
nur Zufall sein kann.
Skandal in Frankreich
Dort hat am 8. August 2019 Ives Bonnet, der ehemalige Chef des französischen Geheimdienstes, der Zeitung Le Parisien ein Interview
(4) gegeben und mitgeteilt, der französische Geheimdienst habe in den
1980er Jahren mit islamistischen Terroristen, die in Frankreich zuvor
bei Terroranschlägen viele Menschen ermordet hatten, ein Abkommen
geschlossen, anstatt sie zu verfolgen. In Deutschland hat außer mir
(5) nur RT-Deutsch darüber berichtet, wenn auch mit einer Woche
Verspätung. Ansonsten fanden die deutschen „Qualitätsmedien“ nicht, dass
man die deutschen Leser damit behelligen müsse.
Natürlich
gehören auch die Snowden-Enthüllungen in diese Liste und die Skandale
über Spionage der amerikanischen NSA gegen ihre „Verbündeten“ in Europa.
In
Deutschland hört die NSA Telefone ab, liest alle E-Mails und hört sogar
gezielt die Kanzlerin und andere Politiker ab. Auch Industriespionage
betreibt die NSA in Deutschland im großen Stil und wird dabei auch noch
vom deutschen BND unterstützt, wie die Enthüllungen über die sogenannten
Selektoren ans Licht gebracht haben. Der BND filtert in Deutschland
Internetverkehr im Auftrag der NSA und sucht gezielt nach vorgegebenen
Begriffen („Selektoren“), die die NSA interessieren, unter anderem auch
nach deutschen Firmengeheimnissen, die dann an die USA weitergegeben
werden. Der BND hat im Auftrag der NSA in Deutschland nach über 800.000 solcher „Selektoren“ (6) im deutschen Internet- und E-Mail-Verkehr gesucht.
Aktuell: BND-Abhörskandal in Österreich
Und
genau zu diesem Thema, Spionage gegen „befreundete Staaten“, gibt es
nun Neuigkeiten aus Österreich. Im Juni 2018 kam dort heraus, dass der
BND über 2.000 Telefone in Österreich abgehört und die gewonnenen Daten
auch an die NSA weitergeben hat. Die Politik in Österreich war
schockiert, sogar in Deutschland wurde ein wenig berichtet und die
österreichische Regierung versprach entrüstet Aufklärung.
Als herausgekommen war, dass Angela Merkels Telefon von der NSA abgehört wurde, sagte sie ihren berühmten Satz: „Abhören unter Freunden geht gar nicht“,
nur um danach die Aufklärung zu behindern und nichts an den Praktiken
der NSA zu ändern. Es wurden keine neuen Gesetze erlassen, niemand
verhaftet, keine Abhörstationen der USA in Deutschland wurden
geschlossen. Das österreichische Äquivalent zu Merkels Zitat kam vom
damaligen Kanzler Sebastian Kurz, der sagte: „Unter befreundeten Staaten darf es so etwas nicht geben“.
Anschließend
jedoch behinderte er die Aufklärung ähnlich effektiv, wie Merkel es in
Deutschland getan hatte. Und vor einer Woche teilte die österreichische
Staatsanwaltschaft mit, die Ermittlungen seien „abgebrochen“ worden. Der
ehemalige Kanzler Kurz und seine ÖVP, die vehement nach Aufklärung
gerufen hatten, reagierten konsequent, wie man im österreichischen „Standard“ am 16. August 2019 lesen kann (7):
„Die ÖVP wollte den Abbruch der Ermittlungen nun nicht einmal kommentieren.“
Und das ist verständlich, denn im „Standard“ kann man auch lesen: „Dafür
wurde bekannt, dass zwischen den USA und Österreich ein Vertrag
besteht, der die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen
der NSA und dem Heeresnachrichtenamt HNaA, dem Auslandsnachrichtendienst
des österreichischen Bundesheeres, festlegt. Die Presse bezeichnete den
Vertrag als „eines der großen Geheimnisse der Republik“. Bis heute
ist der genaue Inhalt des Papiers nicht bekannt. In einem von dem
Online-Magazin The Intercept vor wenigen Wochen erstmals
veröffentlichten NSA-Dokument finden sich aber Hinweise über die
Zusammenarbeit. (…) Auch in anderen Snowden-Unterlagen finden sich
zahlreiche Belege über die US-amerikanisch-österreichische
Zusammenarbeit.“
In Deutschland fand
sich auch über zehn Tage nach den Meldungen aus Österreich kein Artikel
dazu in den „Qualitätsmedien“. Das Einzige, was ich gefunden habe, war eine automatisch erstellte Meldungbei der Zeit (8). Dort arbeitet irgendein Computerprogramm und veröffentlicht selbständig Agentur-Meldungen, wie man dort lesen kann: „Diese Meldung ist Teil des automatisierten Nachrichten-Feeds der Agence France-Presse (AFP).“
Die deutschen Medien wissen also von den Vorgängen in Österreich, aber
sie wollen die deutschen Leser damit wohl nicht beunruhigen.
Immer das gleiche Schema
Auch
hier also wieder das gleiche Schema wie bei allen anderen genannten und
den vielen hier nicht genannten Geheimdienstskandalen: Die Politik
macht markige Sprüche und fordert Aufklärung, die Medien jedoch
vergessen das Thema schnell wieder und es verschwindet aus der
Öffentlichkeit, wobei das die Politiker, die angeblich so an Aufklärung
interessiert sind, nicht weiter stört. Nach einem Jahr werden die
Ermittlungen eingestellt. Und politische Untersuchungsausschüsse haben
noch nie Ergebnisse gebracht und erst recht nicht zu einer Bestrafung
der Verantwortlichen geführt. Die Untersuchungsausschüsse tagen
jahrelang und kommen am Ende zu keinem Ergebnis — und die Medien stellen
keine Fragen.
So funktioniert in den
europäischen Demokratien die „demokratische Kontrolle der
Geheimdienste“ und so „kritisch“ sind die freien „Qualitätsmedien“.
Quellen:
- https://www.anti-spiegel.ru/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch
- https://www.exomagazin.tv/geheimdienstskandal-in-spanien-anis-amri-biowaffe-borreliose-das-3-jahrtausend-30/
- http://www.leparisien.fr/faits-divers/attentat-de-la-rue-des-rosiers-le-pacte-secret-passe-avec-les-terroristes-08-08-2019-8130903.php
- https://www.anti-spiegel.ru/2019/skandal-in-frankreich-franzoesischer-geheimdienst-machte-deal-mit-terroristen-anstatt-sie-zu-verfolgen/
- https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-04/bundesnachrichtendienst-bnd-nsa-selektoren-eikonal
- https://www.derstandard.de/story/2000107435924/keine-chance-auf-erfolg-ermittlungen-gegen-bnd-und-nsa-abgebrochen
- https://www.zeit.de/news/2019-08/16/oesterreichische-justiz-bricht-ermittlungen-gegen-bnd-wegen-spionage-ab
+++
Dieser Beitrag erschien am 25.08.2019 bei Anti-Spiegel
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